Bildungswende JETZT!
Kennengelernt habe ich Hans Peter Wollseifer 2021 als Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks anlässlich des 100-jährigen Jubiläums unserer Kreishandwerkerschaft, als jemanden, der klar ausspricht, was er von den aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen hält. Es fehlen allein im Handwerk aktuell mehr als 250.000 Fachkräfte, Tendenz steigend.
Die Gründe hierfür sind unter anderem, dass die Zahl der Schulabgänger geringer wird und eine immer stärkere Orientierung hin zum Studium erfolgt. Im Ergebnis bleiben dann im Handwerk tausende von Lehrstellen unbesetzt. Das dürfte inzwischen allgemein bekannt sein und wir im ländlichen Kreis Höxter können mit Fug und Recht behaupten, diesen negativen Trend leider bereits seit Jahren zu kennen.
Aber was ist die Lösung des nun erkannten Problems?
Wollseifer sagte dazu am 28.07.2022 im Interview mit der dpa, es komme vor allem auf vier Punkte an, dass Handwerk wieder für junge Menschen attraktiv zu machen:
- Die „Überakademisierung“ sei ein Irrweg. Die berufliche und akademische Bildung müsse endlich gleichwertig behandelt werden.
- Diese Gleichwertigkeit müsse gesetzlich verankert werden, damit sie sich auch in der Mittelvergabe niederschlägt.
- Ausbildungsbetriebe müssten spürbar entlastet und Berufsbildungsstätten gestärkt werden. Mehr attraktive Angebote etwa beim Azubi-Wohnen oder Azubi-Tickets müssten her.
- Es brauche an sämtlichen Schulen – auch an Gymnasien – eine bundesweite Studien- und Berufsorientierung, die ergebnisoffen über Bildungspfade und Karrierewege informiert.
Da kann ich nur sagen, Hans Peter Wollseifer hat mit seinen Aussagen völlig recht.
Es ist Zeit für eine Bildungswende, damit das Handwerk nicht jedes Jahr auch noch die andere Hälfte der Schüler der Abschlussklassen an die Hochschulen verliert. Die Bedeutung und die Wertigkeit einer Ausbildung muss stärker betont werden, als je zuvor. Es ist eine dringende politische und gesellschaftliche Aufgabe, unser Land vor einem wirtschaftlichen Abstieg zu bewahren, der unweigerlich kommen wird, wenn wir nicht in der Lage sind, ausreichend Fachkräfte für das Handwerk zu gewinnen.
Wer soll denn sonst die Energiewende mit dem Anschluss von Millionen von Wärmepumpen schaffen, Straßen bauen, Windkraftanlagen aufstellen oder im Kampf gegen die Wohnungsnot Tausende von neuen Wohnungen bauen?
Ich weiß nicht, ob wir diesen Herausforderungen mit der immer größer werdenden Zahl von Akademikern erfolgreich begegnen können. Aber ich weiß, dass es ohne qualifizierte Fachkräfte im Handwerk nicht funktionieren wird.
Ich möchte keine neue Diskussion zwischen der Wertigkeit der unterschiedlichen Bildungswege beginnen. Jeder junge Mensch soll frei nach seinen Neigungen und Wünschen entscheiden können, welchen beruflichen Weg er einschlagen will. Aber die in weiten Teilen des Bildungsbürgertums und denen die sich dafür halten, verbreitete Ansicht, dass sozialer Aufstieg nur durch ein Studium zu erreichen ist, ist nicht mehr zeitgemäß.
Ich glaube, dass diese (späte) Einsicht in der Politik angekommen ist und nach den Vorstellungen und Ideen von Hans Peter Wollseifer hoffentlich auch umgesetzt wird. Die bisherige „Überakademisierung“ können wir uns nämlich schon heute nicht mehr leisten.
Andernfalls werden wir uns mit einem wirtschaftlichen Abstieg beschäftigen müssen, der von allen Opfer fordern wird.